In Europa zu Hause – im Sejjerland de’heim!

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Wir treten an!“ – ziemlich genau vor einem Jahr entschied sich eine Handvoll motivierter Mitglieder der europäischen Partei Volt in Siegen für die Teilnahme an der Kommunalwahl 2020. Eine europäische Partei in Siegen – was soll das eigentlich?
2016: Trump wurde zum amerikanischen Präsidenten gewählt. Die Briten wählten sich aus der EU. Die AfD stand bundesweit bei 13%, in Sachsen-Anhalt sogar bei knapp 25%. Auch 2016: Aus einer europäisch-grenzübergreifenden Freundschaft entstand der Wunsch diesen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen; dem Rechtspopulismus, der Spaltung, dem Egoismus. Volt – die erste europäische Partei – wurde gegründet. Die Idee: In Europa – in jedem Land, in jeder Stadt – gibt es eine Partei, die überall für gleiche Politik, für gleiche Werte steht. Doch was verbindet uns über den ganzen Kontinent hinweg?
- Wir wollen einen intelligenten Staat! Bildung und Digitalisierung sind DIE Schlüsselelemente des 21. Jahrhunderts.
- Wir wollen wirtschaftliche Erneuerung! Eine innovative Wirtschaft muss der Motor für den Fortschritt der Gesellschaft sein.
- Wir wollen soziale Gleichberechtigung! Niemand darf zurückgelassen werden – unabhängig von Geschlecht, Einkommen, Religion oder Herkunft.
- Wir wollen einen globalen Ausgleich! Europa muss mehr Verantwortung für seine Rolle bei globalen Herausforderungen übernehmen.
- Wir wollen eine politisch aktive Bürgerschaft! Die Menschen müssen befähigt werden, die Politik über Wahlen hinaus zu beeinflussen.
Diese Themen gehen wir an. In Europa, in Deutschland und in Siegen.
Eine Europa-Partei in der Kommunalpolitik
Kommunalpolitik ist grundsätzlich eine tolle Sache und Siegen eine schöne und lebenswerte Stadt. Wir sind entweder hier geboren und verwurzelt oder fühlen uns in Siegen so wohl, dass wir bleiben möchten. Als gewählte Vertretung sind wir nah an den Menschen, können unseren unmittelbaren Lebensraum mit innovativen Ideen gestalten und sind frei von bundes- oder parteipolitischen Streitigkeiten. Es geht ja um die Sache – es geht um die Zukunft unserer Stadt! Das haben wir zumindest geglaubt …
Zum Haushalt der Stadt
Der Haushalt für das Jahr 2021 wirkt auf den ersten Blick, wie … Ja, wie wirkt ein Haushalt denn eigentlich auf die Bürgerinnen und Bürger? Unübersichtlich, intransparent & inkonsistent. Ohne erkennbare Struktur werden an manchen Stellen Fortbildungskosten zu Personalkosten und Personalkosten zu Sachleistungen. Mal werden Produktgruppen bis ins Detail seziert, an anderen Stellen kann nicht mal erahnt werden, was sich hinter den einzelnen Produkten verbirgt. Wer – außer wenigen Auserwählten – soll das verstehen? Ein Antrag für mehr Bürgerbeteiligung – wenige Wochen alt – formulierte es wie folgt:
„Beispielhaft genannt sei hier der städtische Haushalt, der zwar öffentlich präsentiert wird, der aber selbst von routinierten Ratskolleg*Innen kaum les- und verstehbar ist!“
Statt die Anregung aufzunehmen und zu versichern den kommenden Haushalt transparenter zu gestalten, wird in der Folge auf Social-Media von „unfeinen Unterstellungen“ gesprochen. Man wird den Eindruck nicht los, dass es gar kein gesteigertes Interesse an einem übersichtlichen, transparenten & konsistenten Haushalt gibt, zudem das „Problem“ nicht neuist. Sie,HerrMues,sprachennochimJahr2017von„80Klicks“aufderHomepagedes Haushalts. Sie sprachen davon, dass sie „überrascht“ seien, da der städtische Haushalt doch „wesentlich für unsere Bürgerinnen und Bürger“ sei. Ich möchte Ihnen antworten, Herr Mues: „Überrascht“ ist, wer die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürgern nicht kennt. „Überrascht“ ist, wer die aktuelle Politik für transparent hält. „Überrascht“ ist, wer sich nur alle 5 Jahre für die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger interessiert.
Ein Blick in den Haushalt
Smart City
Stadterneuerung? Ja, aber bitte mit Köpfchen. Unter dem schmucken Titel „Die Uni kommt in die Stadt“ wird eine ebenso notwendige wie richtige Politik fortgeführt. Aktuell ist Siegen lediglich auf dem Ortsschild eine „Universitätsstadt“. Das muss sich ändern! Smart City, ÖPNV, Fahrradinfrastruktur, Gastro- und Kneipenszene, Kultur und Freizeit im öffentlichen Raum – das alles fehlt im Haushalt 2021. „Fehlt doch gar nicht!“ wird die GroKo erwidern. Das ist, wie im Folgenden dargestellt wird, leider nicht richtig:
Man scheint im Rathaus Plaketten und Zertifikate sammeln zu wollen. So ist man „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber“, man nennt sich „Fairtrade-Stadt“ und nun möchte man auch noch „Smart-City“ werden. Weiß man im Rathaus eigentlich, was „Smart-City“ bedeutet?
Smart-City bedeutet eine unkomplizierte Vernetzung von Waren, Daten und Akteuren.
Smart-City bedeutet eine digitale Verwaltung und in der Folge transparente Politik.
Smart-City bedeutet eine politisch aktive Bürgerschaft mit der Bereitschaft zu Teilen.
Smart-City bedeutet Nachhaltigkeit in Bau, Energie & Mobilität.
Ich sehe nicht, wer in der GroKo den Mut hat, diese Dinge konsequent umzusetzen. Vielleicht schafft man es dennoch an dieses Zertifikat zu kommen. Fairtrade-Stadt ist man schließlich auch geworden. Begründung damals: Beim Projekt Siegen zu neuen Ufern wurden Granitsteine eingesetzt, bei deren Herstellung Kinderarbeit ausgeschlossen werden konnte. Analog dazu wird man dann wohl Smart-City, weil man Bürgerumfragen per Postkarte verschickt und einen QR-Code darauf druckt. Der Haushalt 2021 gibt jedenfalls keine Hoffnung für wesentlich mehr. Für Volt bedeutet Smart-City mehr als nur eine Pressemitteilung – es ist eine Vision für eine Stadt, unsere Vision für Siegen!
Fahrradfahren wie in Kopenhagen!
Sie erinnern sich vermutlich, damit haben wir geworben. Von Beginn an wurde uns entgegengehalten, dass Siegen doch nicht Kopenhagen sei und überhaupt: „Hier sind doch viel zu viele Berge!“ So nachvollziehbar die Einwände, so anders sehen wir das.
Sie, Herr Mues, haben das Rathaus zu einem fahrradfreundlichen Arbeitgeber gemacht. Im vergangenen Sommer – kurz vor der Wahl – konnten die Bürgerinnen und Bürger mit Freude sehen, dass sie selbst das Auto immer häufiger stehen gelassen haben, um mit dem Fahrrad ins Rathaus zu gelangen. So vorbildlich, wie temporär. Hand aufs Herz, Herr Bürgermeister: Ist es in Siegen möglich mit dem Fahrrad sicher von Kaan Marienborn nach Siegen zu kommen? Würden Sie Kindern und Jugendlichen empfehlen von Kochs Ecke zur BlueBox mit dem Fahrrad zu fahren? Ich könnte das nicht. Auch an dieser Stelle fehlt der Stadt ein Gesamtkonzept – im Haushalt sind einige wenige Maßnahmen vorgesehen, die aber eher mutlos wirken. Wo bleibt der Fahrradweg auf der Sandstraße / auf der Hagener Straße? Auf einer Straße, die in großen Teilen vierspurig ist, sollte doch Platz für Fahrräder sein?! Wo sind die Ideen, um eine sichere Fahrt aus Kaan in die Stadt zu ermöglichen? Können Nebenstraßen zu Fahrradstraßen werden? Eine Prüfung wäre angebracht. Wo sind die konkreten Umsetzungen für den Fahrradverkehr zwischen Siegen und Seelbach? Im Bereich Koblenzer Straße möchte man nun zur Tat schreiten. Es entsteht
ein Fahrradweg zwischen Busspur und Fahrbahn, entgegen der Empfehlung des ADFC. Dass einzelne Fraktionen ebenfalls Einwände haben, wird auf Social Media seitens der CDU als „Blockadehaltung der Opposition“ abgetan.
In der Poststraße in Weidenau sehen wir ein weiteres Sinnbild für die Fahrradpolitik der GroKo: Ein Fahrradweg für eine vergleichsweise ruhige und sichere Straße, ein Fahrradweg auf Kosten des Bürgersteigs. Wenn wir so weitermachen, schaffen wir auch in 20 Jahren keine attraktive Alternative zum Auto.
Anstatt in die Fahrradwegeinfrastruktur zu investieren, steckt man lieber Zeit und Geld in die – ohnehin utopische – Planung des Siegbergtunnels, der bei Fertigstellung gar keine Rolle mehr spielen sollte, da motorisierter Individualverkehr in der heutigen Form keine Zukunft hat.
Anstatt in die Fahrradwegeinfrastruktur zu investieren, erneuert man lieber das Schleifmühlchen, ohne dass daraus ein messbarer Mehrwert entsteht. Einzig positiv ist, dass sich nach 3 Jahren Bauzeit und einer damit einhergehenden Zuspitzung dieses Nadelöhrs die Wiederherstellung des alten Nadelöhrs fast schon wieder ,gut’ anfühlen wird. Statt den Kreisverkehr in nahezu gleicher Form zu erneuern, schlagen wir eine Untertunnelung ab der Musikschule bis zum VEB vor, um den Verkehr wirklich zu entlasten und drei Jahren Baustelle und Umleitung durch den Lohgraben einen Sinn zu geben – quasi ein kleiner Siegbergtunnel. Noch ist es nicht zu spät!
Das Auto steht weiter im Mittelpunkt aller verkehrspolitischen Überlegungen der GroKo. Fahrradfahren, wie in Kopenhagen? Wir meinen es ernst.
Wohnen
Die GroKo wünscht sich in einem Änderungsantrag 1.000 Wohneinheiten in den kommenden fünf Jahren. Die Pandemie ist auf ihrem Höhepunkt, die Folgen sind kaum absehbar und die GroKo tut so, als ob nichts geschehen sei. Dabei gehen mit der Pandemie große Veränderungen einher: Die Arbeitswelt verlagert sich derzeit in großen Teilen aus den Firmenbüros in das Homeoffice. Das Einkaufsverhalten verändert sich und wird weitreichende städtebaulich Folgen haben, die analysiert und berücksichtigt werden müssen. Grundsätzlich ist mit einer Zunahme von Leerständen und somit Flächen zu rechnen, für die eine Nutzung gefunden werden muss. Der Trend zum Wohnen in der Stadt bzw. in unmittelbarer Stadtnähe wird ernstzunehmenden Prognosen zufolge nachlassen. Die umliegenden Dörfer können gegen die Abwanderung arbeiten und Einwohner hinzugewinnen. Die Angebotslage ist im Vergleich zum aufgeheizten Markt in der Stadt attraktiv. Die Bedeutung von Naherholungsgebieten wird in der Folge zunehmen. Das ist jetzt schon insbesondere im Naturraum Wellersberg feststellbar.
Im Bauausschuss nahmen wir dazu wie folgt Stellung: “Wenn wir uns nicht analytisch bzw. wissenschaftlich mit einem der wichtigsten Themen befassen, fliegen wir im Blindflug, ohne Instrumente” – hören wir doch einmal auf die Experten. Wir schlagen vor, dass der Fokus auf das Bauen im Bestand gelegt wird, da dort das größte und am schnellsten generierbare Potential liegt. Der aktuelle Wohnflächenbedarf steht nicht im Zusammenhang mit einem demographischen Wachstum sondern mit einem steigenden Qualitätsanspruch. In den vergangen 20 Jahren ist die Bevölkerungszahl von Siegen um rund 6000 Einwohner zurückgegangen. Derzeit bedient der Markt lediglich das obere Segment der Wohnansprüche, der höhere Bedarf liegt jedoch nachweislich im sozialen Wohnungsbau.
GroKo – eine Herausforderung für die Demokratie
Eine GroKo ist immer eine Herausforderung für die Demokratie, demnach ist gute Oppositionsarbeit aktuell wichtiger denn je. Wir sehen es am Haushaltsänderungsantrag der GroKo. Dieser Änderungsantrag erinnert an ein fröhliches „Wünsch Dir was“, man hat ja die Mehrheit. Der Gang durch die Ausschüsse wird übersprungen, lange Feststehendes als Politik der GroKo verkauft und eine Debatte im Rat unterdrückt. Nur um im Anschluss resümieren zu können: „Die Fundamentalopposition verweigert die Zustimmung!“ (Facebook CDU-Fraktion, 16.12.2020) – ein sehr spezielles Verständnis von Demokratie haben Sie da! Unter dem Deckmantel der Pandemie fallen Ausschusssitzungen aus, sollen Anträge zurückgestellt und das Rederecht unterbunden werden. Letzteres am 24.03.21 im Integrationsrat durch einen Dezernenten der Verwaltung und Mitglied der CDU in Personalunion geschehen, der offen der geltenden Geschäftsordnung widersprochen hat und somit unerwünschte Redebeiträge abwürgen wollte. Es sei die Frage erlaubt: Wie wird in der CDU eigentlich ,Demokratie’ definiert? Vielleicht erfreut es Sie, dass sich der andere Teil der GroKo die gleichen Vorwürfe gefallen lassen muss.
Sie, Herr Rujanski, haben noch vor zwei Jahren in der Haushaltsrede Folgendes formuliert:
„Alle Jahre wieder: Zum Haushalt präsentieren die GRÜNEN unter dem Label ,Jamaika’ einen Katalog von Anträgen zum Gesamthaushalt“
– nichts anderes machen Sie heute unter dem Label ,GroKo`. Aber es geht ja noch weiter:
„Eine interessante Methode, sein politisches Profil zu stärken und Anträge durchzusetzen, ohne sich dabei der Mühe der Bezirks- und Fachausschussberatungen zu unterziehen.“
– bei allem Verständnis dafür, dass das politische Profil der SPD dringend geschärft werden muss, kommt mir diese Art und Weise dann doch etwas doppelzüngig daher. Aber Sie, Herr Rujanski, haben an dieser Stelle noch keinen Punkt gesetzt:
„Diese Vorgehensweise ist nicht nur ärgerlich, sondern schadet auch – aus unserer
Sicht – der demokratischen Kultur!“
Und nun müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, Herr Rujanski: Was ist in den vergangenen zwei Jahren passiert, dass Sie nun hier stehen und genau das Gegenteil von dem machen, wofür sie noch vor zwei Jahren einstanden? Diese – gelinde gesagt – flexible Haltung zu grundsätzlichen Fragen hat die SPD an den Punkt gebracht, an dem sie jetzt ist. Ganz nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, regiert es sich ganz ungeniert!
Wir erleben in Siegen derzeit die mut- und konzeptlose Kooperation zweier Wahlverlierer, die bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 % nichts Besseres zu tun haben, als bei jeder sich bietenden Gelegenheit Kritik an ihrer vermeintlichen Unfehlbarkeit süffisant wegzuwischen. Im Rat der Stadt Siegen sitzen von der Linken bis zur AfD 33 Ratsmitglieder, die sicher nicht gewählt worden sind, weil die Politik von CDU und SPD in den letzten Jahren ausschließliche Zustimmung der Siegenerinnen und Siegener fand. Wir sitzen hier nicht, um jeden Groko-Spleen abzunicken und durchzuwinken. Wir sitzen hier, um auch anderen Positionen eine Stimme zu geben. Das mag für Sie lästig sein, für uns ist es zwingend notwendig.
Auch aus diesem Grund ist gute Oppositionsarbeit aktuell wichtiger denn je. Wir haben eine Vision für Europa. Wir haben eine Vision für Deutschland. Wir haben eine Vision für unsere Stadt, eine Vision für Siegen. In Europa zu Hause, im Sejjerland de’heim!